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Oliver Reiser

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Tamiflu® – wirksam gegen die Schweinegrippe! Italiano

Oliver Reiser

Der Arzneistoff Tamiflu® scheint wirksam gegen den Erreger der Schweinegrippe zu sein. Der Kombination aus Gentechnik und chemischer Synthese ist zu verdanken, dass es in ausreichenden Mengen zur Verfügung steht. © Chemie-im-Alltag 2009.

Tamiflu-SchachtelDie Schweinegrippe ist in Mexiko ausgebrochen. In unserer globalisierten Welt dauerte es nur wenige Tage, bis dieser aggressive Grippevirus auch Deutschland erreichte. Erste Hochrechnungen gaben an, dass sich jeder Dritte infizieren könnte, Zahlen, die dank der gut organisierten Maßnahmen der Behörden bei Einreisen aus Mexiko wohl stark übertrieben sind. Dennoch hat aktuell (29.4.2009, 22 Uhr) die Weltgesundheitsorganisation (WHO) die zweithöchste Pandemie Warnstufe ausgerufen.

Tamiflu® - ein kleines chemisches Molekül bekämpft den Influenzavirus!

TamifluBeruhigend für uns alle ist die Nachricht, dass der Arzneistoff Tamiflu® gegen die Schweinegrippe wirksam zu sein scheint. Tamiflu® ist eine relativ kleines chemisches Molekül, das aufgrund seiner dicht angeordneten funktionellen Gruppen eine beträchtliche synthetische Herausforderung darstellt. Dabei ist die eindeutige räumliche Anordung dieser Gruppen - das Molekül ist chiral (händig) mit drei zu kontrollierenden Stereozentren (gekennzeichnet mit *) - für die Wirksamkeit des Arzneistoffs von entscheidender Bedeutung. Die großtechnische Herstellung von Tamiflu® gelang der Firma Roche, die eine Jahreskapazität von 400 Millionen Anwendungen (zwei mal 75 mg pro Tag für fünf Tage) Ende 2006 erreicht hat. Der Herstellungsprozess dauert 8 Monate, alle Staaten legen daher Vorräte an, da kurzfristig der Wirkstoff nicht produziert werden kann.

Tamiflu® - mit Gentechnik und Chemie!

Mit_GentechnikNachdem jahrelang der Slogan Ohne Chemie für Qualität bürgen sollte, kann man sich momentan der mit Stolz geschwellter Brust vorgetragenden Werbebotschaft vieler Anbieter Ohne Gentechnik - Hipp oder Landliebe, um nur zwei zu nennen - nicht erwehren. Doch verdanken wir genau diesen zwei Technologien, dass Tamiflu® weltweit in ausreichenden Mengen zur Verfügung steht.

ShikimisäureAls Ausgangsstoff für die Synthese dient die so genannte Shikimisäure. In der Natur kommt sie in den Sternanisgewächsen vor, etwa im echten Sternanis, dessen Früchte wir in dem als Gewürz verwendeten Anis zu schätzen wissen. Obwohl Roche die gesamte Welternte dieser Pflanze zur Herstellung von Tamiflu® aufgekauft hat, kann hierdurch der Bedarf an Shikimisäure nicht gedeckt werden. Glücklicherweise kann Shikimisäure auch aus gentechnisch veränderten Escherichia coli-Bakterien gewonnen werden. Die Firma Sanofi-Aventis (in die Hoechst mit eingegangen ist, die schon in den 80iger Jahren ein analoges gentechnisches Verfahren zur Herstellung von Insulin entwickelt hatten und aufgrund des in Deutschland großen politischen Widerstand jahrelang die Herstellung von Humaninsulin ins Ausland verlagern musste) produziert auf diese Weise für Roche den Grundstoff für Tamiflu®. Weitere zehn, teilweise in den großen Mengen nicht unproblematische chemische Syntheseschritte sind nötig, um Shikimisäure schließlich in den Arzneistoff umzuwandeln.

Die Wirkweise von Tamiflu®

Influenza VirusTamiflu® blockiert die so genannten Neuramidinasen von Influenzaviren, die ein bestimmtes Zuckermolekül (Sialinsäure), das auf der Oberfläche unserer Zellen sitzt und diese wie eine klebrige Schutzschicht bedeckt, auflöst und so das Eindringen des Virus in die Wirtszelle ermöglicht. Obwohl Influenzaviren sehr schnell mutieren, scheint der Teil der Neuamidinasen, der für das Auflösen der Schutzschicht der Zellen zuständig ist, sich nicht zu verändern. Dementsprechend sind die Resistenzbildungen von Influenzaviren gegen Tamiflu® relativ gering. Dennoch darf man sich auch hier nicht in Sicherheit wiegen: Gerade in den letzten Jahren ist die Zahl der Grippeviren, gegen die auch Tamiflu® machtlos ist, deutlich angestiegen.

Tamiflu® zur Vorbeugung?

Eine Einnahme von Tamiflu® zur Vorbeugung gegen den Grippevirus ist dagegen nicht zu empfehlen. Zum einen ist die Einnahme von Tamiflu® bei einer normalen Grippe nicht notwendigerweise sinnvoll, zum anderen gibt man Viren bei einer dauernden Konzentration an Tamiflu® im Körper die Chance, sich an den wirkstoff "zu gewöhnen" und dann in der Tat in einer Mutation, gegen die der Wirkstoff unwirksam ist, an neuer Kraft zu gewinnen.

Regelmäßiges Hände waschen - gerade in öffentlichen Gebäuden wie Universitäten, deren Toiletten dann aber auch mit berührungsfreien Hygieneutensilien ausgestattet sein sollten -, Umsicht im täglichen Umgang mit anderen Menschen, und bei Auftreten von typischen Grippesymptomen der Gang zum Arzt, um einen Test durchzuführen, sind die besten Empfehlungen, die man momentan geben kann. Glücklicherweise scheinen auch alle nach Europa eingeschleppten Fälle des Schweinegrippe weniger aggressiv zu sein als die ursprünglich in Mexiko aufgetretenen Erkrankungen. Ob sich der Grippevirus tatsächlich abschwächt, oder ob Europäer weniger anfällig dagegen sind, bleibt abzuwarten. Bedenklich stimmt in diesem Zusammenhang die Nachricht eines ersten Todesfall einen knapp 2 Jahre alten Kleinkindes in den USA.

 

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